German Council Magazin 03.2018 - page 22

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GCM 3/2018
GERMAN COUNCIL . AT-TRAC-TION
GAMING MACHT NICHT BLÖD
Videospiele sind besser als ihr Ruf. Davon sind immer mehr Wissenschaftler überzeugt, die sich
den Spieltrieb der Menschen zunutze machen und dabei Erstaunliches zutage fördern: Wer den
Wettkampf in der Virtualität sucht, ist in der realen Welt häufig reaktionsschneller, verfügt über
besseres räumliches Denken, ist sogar teamfähiger und sozialer. In den USA schreiben Stellen­
bewerber inzwischen im Computerspiel erworbene Führungserfahrung in den Lebenslauf.
Wie Unternehmen von den Spielerfahrungen ihrer Mitarbeiter profitieren können
Die neuesten Helden der Sportwelt tragen kei-
ne Fußballschuhe und schwingen keine Ten-
nisschläger – sie sitzen vor einem Bildschirm
und dirigieren mit höchster Konzentration und
Geschwindigkeit Spielfiguren durch eine virtu-
elle Welt. Die Wettkämpfe zwischen verschie-
denen E-Sport-Teams füllen mittlerweile riesi-
ge Hallen und versprechen Preisgelder in Milli-
onenhöhe. Für die Elite der professionellen
Gamerinnen und Gamer zahlen sich die vielen
vor dem Computer verbrachten Übungsstun-
den in barer Münze aus.
Doch was ist mit all den andern Jugendlichen,
die ebenfalls einen großen Teil ihrer Freizeit mit
Gamen verbringen? Zwei Drittel der Jugendli-
chen in der Schweiz spielen laut einer von der
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen-
schaften erstellen Studie Videogames – in den
USA sind es sogar fast alle. Vielleicht sind diese
verspielten Stunden keine Zeitverschwendung,
sondern eine Investition in die Zukunft, denn die
Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Experten
schätzen, dass durch Fortschritte auf dem Gebiet
der künstlichen Intelligenz und der Robotik die
Hälfte aller Jobs wegfallen wird. Gleichzeitig ent-
stehen aber auch viele neue Arbeitsplätze an der
Schnittstelle zwischen Mensch und Technik –
und versierte Spieler von Videogames haben
womöglich einen Vorteil in dieser neuen Ar-
beitswelt.
Schneller, genauer, aufmerksamer
Für angehende Chirurginnen und Chirurgen
lohnt sich das Spielen auf jeden Fall: Heutzuta-
ge sitzen viele während der Operation vor ei-
nem Computerbildschirm und steuern von dort
aus Kameras und Werkzeuge im Körperinneren.
Für solche Schlüsselloch-Operationen brauchen
Ärztinnen und Ärzte ein gutes räumliches Vor-
stellungsvermögen und eine gute Auge-Hand-
Koordination. Studien zeigen, dass Medizinstu-
dierende, die als Jugendliche viel Zeit mit Ac-
tion-Videogames verbracht haben, einen Vor-
Action-Videogames, die sogenannten First-Per-
son- und Third-Person-Shooter. »Diese Spiele
sind äußerst komplex und variabel«, erklärt Ba-
velier. »Die Spieler müssen viele Objekte gleich-
zeitig im Auge behalten und werden ständig
mit neuen Informationen bombardiert.«
In einem typischen Studienansatz vergleichen
die Forschenden Personen, die regelmäßig
spielen, mit Personen, die keinerlei Erfahrung
mit Action-Videogames haben. Das Ergebnis:
Eine ganze Reihe von Fähigkeiten der Spieler
verbessert sich: So konnten die Spielerinnen
und Spieler von Actiongames verschiedene
Graustufen besser voneinander unterscheiden
und mehr bewegliche Objekte am Rand des Ge-
sichtsfelds im Auge behalten. Sie waren in der
Lage, Informationen schneller zu verarbeiten,
und hatten kürzere Reaktionszeiten. Auch wenn
es darum ging, Entscheidungen zu treffen und
Probleme zu lösen, schnitten sie besser ab. Und
sie konnten schneller zwischen zwei Aufgaben
wechseln oder mehrere Aufgaben gleichzeitig
durchführen.
Bavelier glaubt, dass der gemeinsame Grund
für alle diese positiven Effekte die selektive Auf-
merksamkeit ist – also die Fähigkeit, sich ange-
sichts einer Vielzahl von Informationen und Ein-
sprung haben: Sie operieren schneller und ma-
chen dabei weniger Fehler.
Auch bei Pilotinnen und Piloten ist bekannt,
dass das Spielen von Videogames einen positi-
ven Einfluss hat. Ein Großteil der Ausbildung
findet heutzutage in Simulatoren statt, die sich
nicht wesentlich von denen auf dem Heimcom-
puter unterscheiden. Und auch in einem ganz
neuen Beruf lassen sich die beim Gamen erwor-
benen Fähigkeiten eins zu eins umsetzen: Droh-
nenpilotinnen und -piloten steuern vom Com-
puter aus unbemannte Flugkörper auf der gan-
zen Welt – mit dem feinen Unterschied, dass
ihre Drohnen nicht über Fantasie-Landschaften
fliegen, sondern in der realen Welt unterwegs
sind.
›So gut wie alles, was wir
im 21. Jahrhundert tun,
basiert auf der Interaktion
mit Computern.‹
Daphne Bavelier
Mittlerweile gibt es Hinweise darauf, dass Ga-
merinnen und Gamer auch in andern Jobs die
Nase vorn haben könnten: So prägte der ame-
rikanische Erziehungsexperte Marc Prensky
2001 den Begriff der »Digital Natives« und pos-
tulierte, dass deren Hirnstruktur sich durch die
am Computer verbrachte Zeit dauerhaft verän-
dere. Deshalb würden sie anders denken, an-
ders Informationen verarbeiten und anders an
das Lösen von Problemen herangehen. Tat-
sächlich bestätigte eine systematische Analyse
der wissenschaftlichen Literatur, dass das Spie-
len von Videogames die kognitiven Fähigkeiten
beeinflussen kann. Eine der ersten, die sich da-
mit befassten, war die Genfer Neuropsycholo-
gin Daphne Bavelier. Ihre Forschung konzen­
triert sich auf eine bestimmte Kategorie von
Einsatz von Computertechnik imOperationssaal
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