German Council Magazin 03.2018 - page 18

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GCM 3/2018
GERMAN COUNCIL . AT-TRAC-TION
VOLL AUF ENTZUG
Immer mehr Menschen leiden unter der stetigen Flut an E-Mails, Nachrichten von Messenger-
Diensten und auf Social-Media-Kanälen. Das beschert Anbietern sogenannter Digital-Detox-
Touren – Urlaub und Abenteuer jenseits von Smartphone und Tablet – reichlich Zulauf.
Wo Mobilfunknetze immer schneller und Endgeräte immer leistungsfähiger werden, ist Stille
die neue Attraktion
Dichter Regenwald, modriger Boden, reißen-
de Flüsse – der Tapón del Darién ist ein gut
110 Kilometer langer Landstrich in der Grenz-
region zwischen Panama und Kolumbien. Der
»Pfropfen« bildet die einzige Lücke entlang
der Panamericana, dem kontinentübergrei-
fenden Fernstraßenband, das sich über knapp
25.750 Kilometer von Delta Junction im Her-
zen Alaskas bis hinunter nach Ushuaia, der
südlichst gelegenen Stadt Argentiniens in
Feuerland, zieht. Es ist eine Gegend, in der ein
Mensch sehr schnell sein Leben verlieren
kann: Giftschlangen lauern inmitten des dich-
ten Dschungels; tückische Sumpflöcher war-
ten auf Fehltritte. Krokodilkaimane und Alliga-
toren harren in den Uferzonen von Flüssen
und Seen auf Beute.
Nicht einmal die hartgesottenen »Portadores«,
die Träger der lateinamerikanischen Drogen-
kartelle, die Kokain aus den Andenstaaten auf
dem Landweg in die USA schmuggeln, wagen
sich durch den Tapón. Sie laden ihre Drogen
stattdessen am kolumbianischen Ufer des Golf
Mengen von Daten zugreifen zu können, und
Telekommunikationskonzerne arbeiten mit
Macht daran, dies möglich zu machen. Fast
monatlich bringen Hersteller neue Smartpho-
nes mit noch mehr Leistung heraus. Allein die
Deutsche Telekom hat 2017 in Deutschland
rund 5,4 Milliarden Euro in den Ausbau ihrer
Netze und Rechenzentren investiert. »Und wir
sind noch lange nicht fertig«, sagt Vorstands-
chef Tim Höttges. Dieses Jahr sollen weitere
12,5 Milliarden Euro an Investitionen hinzu-
kommen – auch für das künftige noch schnel-
lere, noch leistungsfähigere 5G-Mobilfunk-
netz, das 2020 an den Start gehen soll.
Porsche-Betriebsrat: Mail-Konten am
Wochenende sperren
Doch andererseits stöhnen immer mehr
Menschen über die Menge an Informatio-
nen, E-Mails, Nachrichten von Messenger-
Diensten und auf Social-Media-Kanälen, die
beinahe minütlich auf sie einprasseln. Um
die Flut bewältigen zu können, sind nach ei-
ner Umfrage der internationalen Beratungs-
gesellschaft Center for Creative Leadership
Manager und Akademiker weltweit im
Schnitt 13,5 Stunden pro Tag aus beruflichen
Gründen online – am PC am Arbeitsplatz, mit
dem Laptop auf Reisen und mit dem Smart-
phone überall. Die Konsequenzen der ständi-
gen Erreichbarkeit offenbart eine Studie der
von Kranken- und Unfallversicherungen ge-
tragenen Initiative Gesundheit und Arbeit
(IGA). Danach leiden Berufstätige, die auch
in ihrer Freizeit für den Job auf Abruf bereit-
stehen, häufiger unter Schlafstörungen. So
etwas kann das Immunsystem dauerhaft
schwächen und regelrecht krank machen.
»Ständige Erreichbarkeit kann dazu führen,
dass Erholungsprozesse unterbrochen oder
verkürzt werden«, sagt Renate Rau, Professo-
rin für Psychologie an der Martin-Luther-Uni-
versität Halle, die gemeinsam mit Melanie
Hassler die Untersuchung für die IGA vorge-
nommen hat. »Eine weitere Folge kann sein,
von Urubá auf Schnellboote um, auf denen sie
dann die 25 Kilometer schmale Enge im karibi-
schen Meer nach Panama überqueren.
Und dennoch gibt es Menschen, die bereit
sind, sich durch diese grüne Hölle zu schlagen
– und dafür auch noch sehr viel Geld zu be-
zahlen. Was sie lockt, ist nicht allein das Aben-
teuer. Es ist vor allem die Möglichkeit, all dem
zu entfliehen, was das Leben in der modernen
Gesellschaft einerseits so angenehm macht –
und andererseits immer mehr in Dauerstress
versetzt: Internet, Smartphone sowie die stän-
dige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, die
moderne Kommunikationstechnik mit sich
bringt. »Digitale Stille lässt sich kaum noch
finden«, sagt Chris Hunt, Content-Manager
beim britischen Reiseveranstalter Secret Com-
pass. »Das macht sie für die Seele umso wert-
voller, wenn sie für eine Weile wieder ent-
deckt werden kann.«
Es scheint paradox: Einerseits gieren Men-
schen danach, jederzeit auf immer größere
Welcome to the jungle: »Digital Detox« im Urwald zwischen Panama und Kolumbien – nichts für Angsthasen
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