German Council Magazin 03.2018 - page 70

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GCM 3/2018
weiterung erfahren als Präsentationsfläche für
den Online-Handel. Diese Funktionserweite-
rung in den virtuellen Raum hinein schafft für
den Mieter Mehrwert jenseits der am Standort
erzielten Offline-Umsätze und kann deshalb
Mieten jenseits der Grenzen rechtfertigen, die
von den am Standort erzielten Offline-Umsät-
zen gesetzt werden.
Um diese Chancen zu realisieren, muss sich die
Immobilienwirtschaft auf die Funktionserwei-
terung einstellen, was ein erhebliches Umden-
ken erfordert. Die erforderlichen Schritte kön-
nen hier nur angedacht werden, wobei sich
die ein oder andere Entwicklung bereits ab-
zeichnet.
Einzelhandelsarchitektur neu denken
Um die erweiterte Funktion der Einzelhandels-
immobilie als Präsentationsfläche für den On-
line-Handel zu optimieren, muss die Architek-
tur von Handelsimmobilien neu gedacht wer-
den. Die erweiterte Funktion stellt andere An-
forderungen an die Standort- und Raumge-
staltung als beim reinen Verkaufsraum. Die
Qualität der Architektur als »Leuchtturm« mit
hohem städtebaulichem Identitätswert dürfte
wichtiger werden.
Bislang »unproduktive Flächen« und Einbauten,
die sich positiv auf die Aufenthaltsqualität aus-
wirken, dürften wichtiger werden. Entsprechen-
des gilt für die Gastronomie und andere ergän-
zenden Angebote und Dienstleistungen als Fre-
quenzbringer jenseits zielgerichteter Kaufab-
sichten. Ladenbau und Präsentation der Ware
müssen an die erweiterte Funktion angepasst
werden.
Finanzierungsmglichkeiten schaffen
Die Funktionserweiterung für Handelsimmobili-
en und die damit einhergehenden Anforderun-
Je stärker sich der Online-Handel ausdifferen-
ziert und je größer und unübersichtlicher das
Online-Angebot wird, desto wichtiger dürfte die
Markenpräsenz an guten Standorten als Anker
in der Realität und damit in der realen Wahrneh-
mung der Online-Kunden werden. Entspre-
chend gehen auch die originären Online-Plat-
formen (z.B. Zalando, Amazon oder einige chi-
nesische Branchenriesen, darunter Alibaba)
dazu über, zusätzlich zu ihren virtuellen Online-
Plattformen reale Einzelhandelstandorte aufzu-
bauen. Das dürfte erst der Anfang sein.
Diese Entwicklung schafft für die Immobilien-
branche Chancen, die erst einmal kontraindika-
tiv scheinen: Denn einerseits kostet der Erfolg
des Online-Handels eine Verkaufsflächenpro-
duktivität. Andererseits zeichnet sich aber ab:
Gerade weil der Online-Handel so erfolgreich
ist, dürfte die Präsenz der Einzelhändler an gu-
ten Immobilienstandorten zukünftig noch wich-
tiger werden. Und zwar nicht, weil sich dort zu-
künftig die offline erzielten Verkaufsumsätze
steigern ließen, davon ist nicht auszugehen.
Sondern deshalb, weil der virtuelle Raum (und
damit der Absatzmarkt des Online-Handels) un-
begrenzt ist, die realen Präsentationsflächen an
guten Einzelhandelsstandorten aber stark be-
grenzt. Shoppen gehen, reale Ware sehen und
anfassen hat einen anderen Erlebniswert als
eine rein virtuelle Warenpräsentation. Die Mar-
ken, die es schaffen, diese Erlebnisse in persis-
tente Werbeeffekte und Kundenbindung für ih-
ren Online-Handel umzusetzen, dürften deshalb
im virtuellen Raum mit seinem faktisch unbe-
grenzten und damit ein Stück weit auch kontur-
losen Angebot auf Dauer im Vorteil sein.
Ausgerechnet der bislang mit Sorge betrach-
tete Online-Handel verschafft der Immobilien-
wirtschaft damit die Chance, den Immobili­en­
ertrag in guten Lagen von den örtlich erziel-
ten Offline-Umsätzen zu entkoppeln. Einzel-
handelsfläche kann dadurch eine Funktionser-
Bislang war der am Standort erzielbare Umsatz
Verheißung und Grenze der Rendite zugleich.
Verheißung, weil eine gut positionierte Immobi-
lie in bester Lage über die Umsatzmiete eine Be-
teiligung am örtlichen Gewinn des Mieters ver-
sprach. Grenze, weil die Höhe dieser Beteiligung
an die vor Ort erzielbaren Umsätze gekoppelt
war.
Durch die Kombination aus stationärem Einzel-
handel und Online-Handel entsteht eine neue
Perspektive für Handelsimmobilien, die über die
am Standort erzielten Umsätze hinausgeht. Die
Einzelhandelsfläche erfährt eine Funktionser-
weiterung über ihre klassische Funktion als Ver-
kaufsfläche hinaus. Eine ergänzende Funktion
als Präsentationsfläche für den virtuellen Markt-
platz des Online-Handels kommt hinzu. Die Be-
deutung dieser zweiten Funktion hat in den ver-
gangenen Jahren zugenommen.
Ganz neu ist diese Perspektive auf die Standort-
präsenz nicht. Seit vielen Jahrzehnten mieten
hochwertige Luxuslabels Flächen in 1A Lagen
an. Und zwar nicht in erster Linie, weil sie Lauf-
kundschaft suchen. Sondern vor allem, weil die
Präsenz in 1A Lage integraler Bestandteil der
Metaerzählung dieser Luxusmarken ist und dem
Label zu hohen Margen verhilft. »Am besten
Standort also bin ich«, könnte man diesen Effekt
beschreiben.
Durch die rasante (und fortschreitende) Ent-
wicklung des Online-Handels der vergangenen
Jahre gelingt es zunehmend auch Marken jen-
seits des Luxussegments, aus der Präsenz an ge-
eigneten Standorten einen Mehrwert zu erzie-
len, der über die am Standort erzielten Umsätze
hinausgeht. Die Anmietung eines geeigneten
Standortes bringt diesen Mietern einen kom-
merzialisierbaren Werbeeffekt für den Online-
Handel, der nicht nur abstrakt die Marke stärkt,
sondern sich ganz konkret in Umsatzsteigerun-
gen beim Online-Geschäft ausdrückt.
GERMAN COUNCIL . HANDEL UND IMMOBILIEN
AM STANDORT ALSO BIN ICH
Die digitale Funktionserweiterung der Handelsimmobilie: Ein Ineinandergreifen
von Verkaufsräumen als realer Präsentationsfläche und Online-Handel als virtuellem
Marktplatz löst die Immobilie vom Diktat des standortgebundenen Umsatzes.
Das schafft neue Anforderungen und zugleich Spielräume für die Immobilienwirtschaft
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