Page 13 - German Council Magazin 01.2019
P. 13

GERMAN COUNCIL . TRENDS




         Eine der Ursachen dafür: Mit wachsendem
         Wohlstand werden weniger Kinder geboren.
         Vor 150 Jahre brachte jede Frau in Deutsch-
         land in ihrem Leben im Schnitt fünf Kinder                                                                 © SilviaJansen – istockphoto.com
         zur Welt, heute sind es nur noch 1,5. »Ende
         des 19. Jahrhunderts bedeutete Nachwuchs
         noch  Altersvorsorge«, erläutert Sabine Süt-
         terlin, Demografieforscherin am Berlin-Insti-
         tut für Bevölkerung und Entwicklung. Heute
         hingegen können weltweit immer mehr Men-
         schen auf staatliche Rentensysteme und per-
         sönliche Vorsorge bauen. »Dieser Geburten-
         rückgang findet mehr oder weniger ausge-
         prägt weltweit in allen Ländern statt, die sich
         von einer agrarischen zur industriellen Wirt-
         schaftsweise entwickeln«, sagt Sütterlin.

         Hinzu kommen große Fortschritte in der Me-
         dizin. Einen der bahnbrechendsten gelingt
         1928 dem schottischen Mediziner und Bak-
         teriologen Alexander Flemming am St. Mary’s
         Hospital in London – durch Zufall: Vor den
         Sommerferien setzt der damals 46-jährige
         rasch noch eine Staphylokokken-Kultur an,
         ein brisantes Bakterium, das Menschen auf
         vielfältigste Weise töten kann – durch Lun-
         gen- und Herzmuskelentzündungen bis hin
         zur Sepsis. Weil der Urlaub naht, ist Flem-
         ming nicht ganz bei der Sache. Schimmelpil-
         ze der Gattung Penicillium gelangen unbeab-
         sichtigt in den Nährboden. Als der Bakterio-
         loge nach den Ferien in sein Labor zurück-
         kehrt, stellt er fest, dass sich überall dort, wo   erläutert Moll. »Senioren kaufen bevorzugt in   delsgeschäfte – vom Eckladen im Kiez über
         der Schimmelpilz wächst, die Staphylokok-  Geschäften ein.«             Supermärkte bis hin zu Einkaufszentren –
         ken nicht vermehrt haben. Penicillin nennt                              das Qualitätszeichen »Generationsfreundli-
         Flemming den neu entdeckten Wirkstoff ge-  Dies liege nicht daran, dass ältere Menschen   ches Einkaufen« erlangt. Der HDE hat das
         gen die gefährlichen Bakterien. Das erste An-  nicht internetaffin seien. »Die meisten von ih-  Zertifikat 2010 gemeinsam mit dem Bundes-
         tibiotikum ist gefunden. 1945 wird sein Ent-  nen wollen aber nicht daheim am Computer   ministerium für Familie, Senioren, Frauen
         decker dafür mit dem Nobelpreis für Physio-  sitzen, sondern draußen sein und etwas erle-  und Jugend sowie Partnerorganisationen
         logie und Medizin geehrt.           ben«, sagt Moll. Allerdings müsse der Einzel-  und Unternehmen ins Leben gerufen.
                                             handel ihnen auch entgegenkommen und ih-
         Ältere Kunden sind dankbar und loyal  nen  ein  angenehmes  Einkaufserlebnis  bie-  »Um die Auszeichnung zu erhalten, muss
                                             ten. »Ältere Menschen sind dankbare und lo-  der Zugang zu einem Geschäft barrierearm
         Für den Handel ist der Megatrend auch eine   yale Kunden«, sagt der Ergonom. »Wenn sie   sein, der gesamte Einkaufsbereich gut aus-
         Megachance. Ältere Menschen verfügten   in einem Geschäft gute Erfahrungen ge-  geleuchtet und etwaige Gefahrenstellen aus-
         über eine deutlich höhere Kaufkraft als jün-  macht haben, kommen sie immer wieder.«  reichend markiert sein«, sagt HDE-Sprecher
         gere Verbraucher, deren Einkommen noch                                  Stefan Hertel. »Zudem müssen die Böden
         gering sind und die erst noch Rücklagen für   Unternehmen beginnen  deshalb,  ihre  Ge-  rutschfest und die Gänge breit genug für
         ihre eigene Altersvorsorge bilden müssen,   schäftsflächen an die Bedürfnisse älterer Kun-  Kinderwagen, Rollstühle und Rollatoren
         sagt GERT-Erfinder Moll. »In den kommen-  den anzupassen. Supermarktketten wie REAL   sein.« Außerdem müssten die Preisschilder
         den Jahren wächst stetig jene Bevölkerungs-  bieten inzwischen an einer Reihe von Standor-  gut lesbar und Sitzgelegenheiten zum Aus-
         gruppe, die über das höchste Konsumpoten-  ten einen Shuttle-Service mit Kleinbussen zu   ruhen für Kunden vorhanden sein. »Wir ha-
         zial verfügt.« Gerade der inhabergeführte   ihren Filialen – für Senioren, die nicht mehr Au-  ben uns bei der Namenswahl bewusst nicht
         stationäre Einzelhandel und große Unterneh-  tofahren können oder wollen. Von den rund   allein auf Senioren bezogen, weil das Einkau-
         men, die ihre Mitarbeiter in den Filialen im   400.000 selbstständigen Mitgliedsunterneh-  fen für Menschen aller Altersgruppen, Fami-
         Umgang mit älteren Kunden schulen, könn-  men im Handelsverband Deutschland (HDE)   lien ebenso wie Singles, Menschen mit vorü-
         ten vom demografischen Wandel profitieren,   haben inzwischen mehr als 9.600 Einzelhan-  bergehenden oder  ständigen gesundheitli-

                                                                                                        GCM 1 / 2019 11
   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17   18