Page 8 - German Council Magazin 02.2014
P. 8
GERMAN COUNCIL . IN MOtION
Frisch vom Sofa muss warten
Warum der Online-Handel mit Lebensmitteln nur langsam vorankommt und was
sich ändern muss, damit es besser läuft
Zwei Sätze, gesprochen vom Rewe-Chef Alain Caparros, bringen das gibt es sonst nirgends in Europa. Das könnte den Ladenbetreibern hel-
ganze Dilemma, in dem die Lebensmittelverkäufer in Deutschland ste- fen, der Konkurrenz aus dem Netz zu trotzen. Aber sicher ist das nicht.
cken, auf den Punkt: »Wir steigen in einen Zug, wissen nicht, wie Und untätig dasitzen und darauf vertrauen, dass die Kunden ihnen
schnell er fährt und ob wir Geld verdienen können. Wir wissen nur, dass hoffentlich die Treue halten werden, will auch niemand. Zu tief sitzt
wir dabei sein müssen.« Gemeint ist der Online-Handel mit Milch, der Schock, den zuvor schon Amazon, der weltgrößte Online-Händler,
Fleisch, Salat und all den anderen Waren, die die Deutschen heute noch und Zalando, der Mode-Verkäufer aus dem Netz, anderen stationären
bevorzugt bei Discountern, Supermärkten oder SB-Warenhäusern kau- Ketten bereitet haben. Die hatten die neuen Wettbewerber zunächst
fen. Vom Umsatz in Höhe von 175 Milliarden Euro, den Edeka, Aldi, nicht ernst genommen – und dafür später teuer bezahlt. Der Buchver-
Real und andere Food-Anbieter im vergangenen Jahr erwirtschafteten, käufer Thalia beispielsweise weiß heute nicht, wie er die großzügigen
entfielen mehr als 99 Prozent auf das stationäre Geschäft. Online-Be- Flächen in seinen Läden füllen soll – Flächen, die er noch vor drei Jah-
stellungen machten allenfalls 0,2 oder 0,3 Prozent aus. ren für unverzichtbar hielt. Auch Schuhhändler wie Deichmann, Reno
oder Görtz hatten sich lange Zeit sicher gefüllt vor den Konkurrenten
aus dem Internet. Denn Schuhe, da waren sie sicher, wollen die Kun-
Verglichen mit anderen Warengruppen ist das minimal. Zumal auch den befühlen, anprobieren und ein paar Schritte in ihnen laufen. Bis
noch ein Großteil der Erlöse aus dem Verkauf von Delikatessen und Zalando kam und den etablierten Verkäufern zeigte, dass dies nicht
Spirituosen resultierte und weniger aus Gütern des täglichen Bedarfs. zwingend im Laden passieren muss, sondern ebenso gut bei den Kun-
Bei Unterhaltungselektronik, Büchern und Spielwaren dagegen wird den zu Hause – vorausgesetzt, sie haben die Möglichkeit, die Ware bei
in Deutschland bereits jeder vierte Euro im Netz umgesetzt. »Der Le- Nichtgefallen ohne großen Aufwand und kostenfrei zurückzuschicken.
bensmittelhandel scheint eine letzte Bastion des stationären Handels
zu sein«, meint Thomas Harms, Handelsexperte bei der Beratungs- So soll es den Lebensmittelhändlern nicht gehen. Deshalb testet und
und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. experimentiert die Branche, was das Zeug hält. Jeder sucht die beste
Lösung. Aber im Grunde geht es allen wie Rewe-Chef Caparros: Sie
Die Frage ist: Wird diese Bastion fallen? Und werden damit vielen Le- wissen, dass sich der Markt verändert, aber sie wissen nicht, in welche
bensmittelgeschäften die Kunden abhanden kommen? Branchenken- Richtung. Es steht viel auf dem Spiel. Die Experten von Ernst & Young
ner schätzen, dass jeder Bundesbürger innerhalb von nur sieben Mi- prognostizieren eine »regelrechte Explosion der digital beeinflussten
nuten einen Laden erreichen kann. Ein so dichtes Verkaufsstellennetz Lebensmitteleinkäufe«. Schon 2020 würden zehn Prozent des Bran-
chenumsatzes von dann etwa 200 Milliarden Euro im reinen Online-
Geschäft erlöst. Weitere 20 Prozent, so Harms, entfielen dann auf so-
genannte Cross-Channel-Einkäufe. Dabei kombiniert der Kunde bei
seinen Besorgungen stationäre und digitale Kanäle. Etwa, in dem er
seinen Warenkorb zu Hause zusammenstellt und im Geschäft abholt.
Behält Harms recht, werden in den nächsten Jahren etwa 30 Prozent
des Lebensmittelhandels oder 60 Milliarden Euro Umsatz neu verteilt.
Und das in einem Markt, der kaum wächst und in dem – angetrieben
von den mächtigen Discountern – ein gnadenloser Preiswettbewerb
herrscht.
Unter den vielen Studien und Befragungen zur Zukunft des Online-
Handels, die gegenwärtig kursieren, ist die Untersuchung von Ernst &
Young die Spektakulärste. Niemand sonst prognostiziert eine solche
Revolution. Aber alle sind sich einig, dass es nicht bei den 400 oder
500 Milliarden Euro bleiben wird, die gegenwärtig im Internetge-
© Thinkstock.com Supermarkt-Betreiber wie Edeka, Rewe oder Tengelmann haben Ver-
schäft erlöst werden. Deshalb herrscht Aufbruchstimmung. Etablierte
suchsballons gestartet. Mit regional tätigen Lieferdiensten aus den Fi-
lialen heraus oder in Form eines sogenannten Click-and-Collect-Ser-
GCM 2 / 2014